Mein Name ist Daphne. Ich bin 78 Jahre alt. Ich lebe mit meinem Mann Tom in einem kleinen Backsteinhaus in Leeds, England. Er ist seit drei Jahren krank.

Mein Name ist Daphne. Ich bin 78 Jahre alt. Ich lebe mit meinem Mann Tom in einem kleinen Backsteinhaus in Leeds, England.
Er ist seit drei Jahren krank. Äußerlich ist davon nichts zu sehen.
Sein Verstand schwindet.
Manchmal lächelt er mich an, als wüsste er, wer ich bin.
An anderen Tagen fragt er mich, was ich in seiner Küche mache.
Das ist schwer.

Sehr schwer.
Morgens sitze ich manchmal einfach am Küchentisch und weine in meine Tasse Tee.
An einem Dienstag brauchte ich frische Luft.
Ich ging zur Bushaltestelle in der Nähe der Geschäfte.
Es ist nur eine Metallbank unter einem verblassten blauen Vordach.
Alte Busse rumpeln vorbei.
Die Menschen warten mit gesenkten Köpfen, müde.
Ich sah dort eine junge Frau, etwa zwanzig Jahre alt.
Sie schaute auf ihr Handy, aber ihre Schultern waren angespannt.
Als würde die ganze Welt auf ihnen lasten.
Sie sah so einsam aus.

Genau so, wie ich mich manchmal neben Tom fühle.
Ich ging nach Hause.
Ich nahm ein Buch aus dem Regal – „Der Alchimist“ von Paulo Coelho.
Ich hatte es vor vielen Jahren gelesen.
Es hatte mir einmal Hoffnung gegeben.
Ich schrieb eine Notiz auf einen Zettel: „Für den Fall, dass du dich verirrst.
Dieses Buch hat mich gefunden, als ich es brauchte.
Vielleicht hilft es auch dir.
Gib es weiter, wenn du es gelesen hast.
– Daphne, 78“.
Ich legte die Notiz auf die erste Seite.
Am nächsten Morgen legte ich das Buch auf die Bank an der Bushaltestelle.
Meine Hände zitterten ein wenig.

Was, wenn es weggeworfen wird?
Was, wenn man mich für verrückt hält?
Zwei Tage lang habe ich mich nicht dorthin getraut.
Ich hatte Angst.
Am dritten Tag war das Buch nicht mehr da.
Aber an seiner Stelle lag ein anderes – „Der Windläufer“.
Im Buch stand: „Dieses Buch hat mir das Herz gebrochen, aber mich wieder an das Gute glauben lassen.
Ich hoffe, es hilft auch dir.
– Aisha“.
Meine Augen wurden feucht.
Jemand hatte es bemerkt.
Jemandem war es nicht egal.

Da habe ich noch ein Buch dagelassen – „Anna aus den grünen Mezzaninen“.
Die Notiz lautete: „Für Träumer.
Ihr seid nicht dumm, wenn ihr Magie dort seht, wo andere sie nicht bemerken.
– Daphne“.
Dann „Ein Mann namens Uwe“.
Notiz: „Für mürrische Herzen.
Ihr seid mehr wert, als ihr denkt.“
Auch andere Leute fingen an, Bücher zu hinterlassen.
Nicht nur meine.
Ein Mann in einem Kurieruniform hinterließ „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd“ mit einer Notiz: „Meine Tochter hat darin ein Bild gemalt.

Sie sagte, es sei für jemanden, der eine Umarmung braucht.“
Ein Teenager hinterließ ein abgegriffenes Exemplar von „Harry Potter“: „Dieses Buch hat mir im Krankenhaus geholfen.
Gib diese Magie weiter.“
Es ging nicht um die Bücher.
Sondern um die Notizen.
„Für diejenigen, deren Väter heute ihren Namen vergessen haben.
Mir geht es genauso.“
(Diese habe ich eine Woche lang in meiner Tasche mit mir herumgetragen).
„Für alleinerziehende Mütter.
Ihr seid stärker, als ihr denkt.“
„Für die Stillen.
Eure Stimme ist wichtig.“

An einem frostigen Morgen sah ich Mr. Holden, den mürrischen Postboten, der nie grüßt.
Er saß auf einer Bank und las ein Buch, das dort zurückgelassen worden war – „Die unglaubliche Reise des Harold Fry“.
Er blickte auf, sah mich und nickte.
Ein echtes Nicken.
Nicht sein übliches Murren.
Später hinterließ er selbst ein Buch – „Der kleine Prinz“.
Auf seiner Notiz stand: „Für Daphne.
Meine Frau hatte Alzheimer.
Ich weiß, was stille Tage sind.
Danke.“
Tom hatte eine schwere Woche hinter sich.
Er erkannte mich überhaupt nicht.
Ich fühlte mich leer.
Ich ging zur Bushaltestelle.

Ich saß einfach da, kalt und verloren.
Und dann sah ich es.
Unter dem Bein der Bank, in Plastikfolie eingewickelt, damit es nicht nass wurde, lag ein brandneues Exemplar von „Der Alchimist“.
Das gleiche Buch, das ich als erstes zurückgelassen hatte.
Darin war eine Notiz von einem Fremden: „Daphne, wer auch immer Sie sind, Ihre Bücher haben mich diesen Winter gerettet.
Bitte mach weiter so.
Die Welt braucht dein stilles Licht.
Man sieht dich.“
Ich weinte direkt dort auf der Bank.
Aber es waren keine Tränen der Traurigkeit.
Sondern weil ich nicht allein war.

Denn Toms Krankheit ist immer noch schwer, aber dieser kleine Ort … er ist warm geworden.
Die Menschen hinterlassen nicht nur Bücher.
Sie schreiben sich gegenseitig kleine Notizen: „Ich hoffe, das Vorstellungsgespräch ist gut gelaufen!“ (für denjenigen, der den Karriereführer hinterlassen hat), „Du schaffst das, Mama!“ (auf einem Buch über Kindererziehung).
Die Bushaltestelle ist jetzt nicht mehr nur ein Ort des Wartens.
Es ist ein Ort, an dem Fremde sagen: „Ich sehe dich.
Ich weiß, dass es schwer ist.
Du bist nicht allein.“
Nur Bücher und Ehrlichkeit, zurückgelassen auf einer kalten Bank.
Tom vergisst immer noch manchmal meinen Namen.
Aber wenn ich an der Haltestelle vorbeigehe und jemanden sehe, der ein Buch liest, das ein Fremder zurückgelassen hat, spüre ich Wärme.

Ich fühle mich ein bisschen weniger verloren.
Vielleicht braucht Güte keine großen Gesten.
Vielleicht braucht sie nur einen Menschen, der am Dienstag ein Stück seines Herzens dort zurücklässt, wo es ein anderer finden kann.