SIE STIEG MIT MIR IN DAS FLUGZEUG – UND DREI JAHRE SPÄTER RUFE ICH IHRE FAMILIE AN.

Wir durften überhaupt nicht nebeneinander sitzen.
Es war einer dieser furchtbar überfüllten Flüge nach Miami. Ich war zweiundzwanzig, kaum auf den Beinen nach den Abschlussprüfungen und hatte das Gefühl, das Leben sei ein rasender Zug, für den ich weder eine Fahrkarte noch die Energie hatte, ihn zu besteigen. Ich hatte mir absichtlich einen Platz ganz hinten bei der Toilette ausgesucht, damit ich mit niemandem reden musste. Aber wegen der dringenden Neuordnung der Sitze (die Familie wollte zusammensitzen), landete ich auf 12B: Mittelsitz, null Platz, auf der einen Seite ein wohlgenährter Mann, der bereits mit einem Kissen im Nacken schlief, auf der anderen Seite eine zierliche ältere Frau mit einer riesigen Sonnenbrille und einem Buch mit dem Titel „Liebe nach 80“.

Vor dem Abflug berührte sie mich leicht am Arm und sagte:
Ich habe Angst vorm Fliegen. Vielleicht muss ich Ihre Hand halten.
Ich schnaubte:
Ich bin eine arme Studentin, die sich zu Tode fürchtet, eine arme Erwachsene zu werden. Halten Sie sich so lange fest, wie Sie müssen.
Sie lachte – ein dickes, heiseres Lachen, das so gar nicht zu ihrem Aussehen passte. Wir unterhielten uns den ganzen Flug über. Ihr Name war Elena, sie war dreiundachtzig und hatte mehr Witz als alle meine Klassenkameraden zusammen. Eine Witwe. Spricht kaum mit ihren Kindern. Hat an der Uni Kunst unterrichtet. Freitags tanzte ich, bis meine Knie versagten.
Jetzt glaube ich nur noch an Desserts“, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
Ich erzählte ihr, dass ich eine Ausbildung zur Designerin machte, aber keine Ahnung hatte, was daraus werden würde. Sie hörte mir zu. Nicht aus Höflichkeit, sondern aufrichtig. Sie hörte zu. Hinterfragte. Argumentierte.
Du bist schon etwas“, sagte sie. – Alles andere ist nur Dekoration.

Nach dem Einsteigen half ich ihr, ihr Gepäck zu holen. Sie umarmte mich, als würden wir uns schon seit Jahren kennen.
Ich dachte, es sei nur eine zufällige Begegnung – herzlich, aber flüchtig.
Eine Woche später kam der Brief.
Sie erwähnten ein Dissertationsprojekt. Könnten Sie es sich ansehen? Ich brauche eine Alternative zu den Zwergen auf dem Rasen meines Nachbarn.
Und dann kam noch einer.
Und dann begannen die Anrufe. Meistens sonntags. Dann die Pakete. Echte Kekse, quer durch drei Staaten geschickt, mit Zetteln wie:
Diese haben mir bei meiner ersten Vernissage geholfen. Jetzt bist du dran.
Ich schickte ihr Skizzen. Sie gab mir ehrliches – manchmal gnadenloses – Feedback. Aber immer mit Bedacht.
Eines Tages rief sie an und sagte:
„Wie wäre es, wenn wir zurück nach Miami gehen? Es gab noch einen Tanz.

Als ich einflog, holte sie mich persönlich am Flughafen ab – in einem Mietwagen, der wie ein Toaster aussah. Sie sagte, sie habe kein Vertrauen in Taxis. Und dass sie das Gefühl des Lenkrads in ihren Händen vermisse.
Aber statt in ihre Wohnung brachte sie mich in eine Galerie in einem ruhigen Kunstviertel. Ich dachte, sie würde mir einen alten Ort zeigen oder die Ausstellung von jemand anderem.
Sie sagte kaum etwas, lächelte nur.
Und da habe ich es gesehen.
Mein Kunstwerk.
An den Wänden.
In Rahmen.
Unter den Lichtern.
Die Leute liefen herum, nippten an billigem Wein und zeigten auf meine Skizzen, meine Ideen. Jemand ließ sich vor einem großen abstrakten Bild fotografieren, das ich letztes Semester fast weggeworfen hätte.
Meine Beine machten schlapp. Elena sah mich nur an und sagte:

Überraschung.
Es stellte sich heraus, dass sie die ganze Zeit über meine Arbeiten gesammelt, gedruckt, gestaltet und ausgewählt hatte. Sie zog einige befreundete Lehrer hinzu: Einer kannte den Besitzer einer Galerie, ein anderer einen Sponsor aus einem Kunstfonds. Das alles wurde schon Wochen vor diesem Abend arrangiert.
Ich wollte nicht, dass die Welt es verpasst“, sagte sie.
Ich konnte kaum sprechen.
Die Leute kamen auf mich zu und fragten mich nach Inspiration und Technik. Eine Frau gab mir ihre Visitenkarte – sie wollte ein Interview in einer Zeitschrift veröffentlichen. Eine andere fragte, ob sie einen Druck kaufen könne.
Elena flatterte durch den Raum wie eine Königin und stellte mich als „ihre Lieblingsentdeckung des Jahrzehnts“ vor.
Später, bei ihr zu Hause, fragte ich sie, warum sie das alles tat.
Jeder braucht jemanden, der auf ihn setzt“, antwortete sie. – Ich hatte die Kunst. Sie haben alles vor sich.
Das war vor drei Jahren.

Jetzt habe ich mein eigenes Atelier in einem Loft, das ich mir damals kaum leisten konnte. Meine Arbeiten wurden in mehreren anderen Galerien ausgestellt. Zum Teil wegen dieser Verbindungen. Zum anderen, weil Elena nicht aufhörte, mich anzurufen und zu überreden.
Sie wollte keinen Ruhm. Sie sagte:
Wahrer Einfluss braucht keine Erklärung.
Letzten Monat habe ich sie zu meiner ersten Einzelausstellung in New York mitgenommen.
Wir machten Selfies vor dem Titel der Ausstellung. Vor dem Bild beugte sie sich vor und flüsterte:
Du hast mir einen Grund gegeben, mich wieder auf morgen zu freuen. Ich möchte dich zu meiner Familie machen.
Dann reichte sie mir einen Umschlag.
Darin befand sich ein notariell beglaubigter Brief. Sie hatte das Testament aktualisiert.

Sie ernannte mich zum Testamentsvollstrecker ihres letzten Willens – und richtete einen kleinen Fonds für junge Künstler ein, den Second Place Fund.
Denn manchmal, so sagte sie, verändert sich das ganze Leben, wenn man neben jemandem sitzen darf.
Sechs Wochen später verstarb Elena in aller Stille.
Bei der Totenwache zeigte ich ihr das Foto aus New York. Ich erzählte ihr von dem Flug. Von den Keksen. Von der Galerie. Die Stiftung. Die Leute weinten. Sie lachten. Beifall geklatscht. Eine Frau von der Stiftung kam danach zu uns und sagte, sie wolle die Idee mit anderen Sponsoren weiterentwickeln.
Jetzt hat die Stiftung bereits fünf junge Künstler unterstützt. Und das ist erst der Anfang.
Ich hätte nie gedacht, dass eine zufällige Begegnung in einem Flugzeug mein ganzes Leben verändern würde.
Aber so etwas passiert, nicht wahr?

Manchmal kommen die wichtigsten Menschen im unerwartetsten Moment – und verlassen uns besser, als sie uns vorgefunden haben.
Würden Sie mit jemandem wie Elena sprechen? Oder würden Sie auf Ihr Telefon starren – und Ihre Chance verpassen?
Teilen Sie uns mit, ob Sie an das „Zweitbeste“ glauben. Und wenn Sie das nächste Mal jemand am Arm berührt, bevor Sie abheben, versuchen Sie es doch einfach mal.